Die Revolution ist das größte, alles andere ist Quark.
Rosa Luxemburg

Donnerstag, Mai 04, 2006

Wohnst Du noch oder räumen sie schon?

Um keine Vorlage für größere Proteste gegen Hartz IV zu liefern war es um die soziale Lage der ALG-II-Empfänger im ersten Jahr ganz ok bestellt. Keine großen Meldungen zu unmenschlichen Forderungen, keine Umzüge aufgrund zu hoher Mieten. Das einzige, was zu hören war, waren die üblichen Beschimpfungen. Anscheind - so will es die Propaganda aus den Regierungsreihen - geht es den Erwerbslosen noch zu gut. Sie haben zu viel Freizeit, zu viel Geld und zu große Wohnungen.

wohnst du noch...

Im Schatten der Fußball-WM und in Zeiten allgemeiner Lethargie wittern die Ämter nun die Chance, die Gesetze endlich "richtig" umzusetzen. Ein Problem von vielen, mit denen sich Erwerbslose ALG-II-Empfänger nun auseinandersetzen müssen ist der angemessene Wohnraum. Noch vor einem Jahr - also kurz nach der Einführung von Hartz IV - behauptete die Berliner Sozialsenatorin:
Was wir regeln können, werden wir sicher nicht rigide regeln. Zum Beispiel die Wohnungsfrage: Wir wollen keine Zwangsumzüge [...]
In Berlin sind laut "taz" tatsächlich noch keine Zwangsumzüge durchgeführt worden. Allerdings seien allein "in Neukölln [...] schon 169 Überprüfungsverfahren anhängig". Der Deutsche Mieterbund ging im Dezember 2005 davon aus, dass in diesem Jahr deutschlandweit mindestens 500.000 Menschen umziehen müssen. Die JobCenter müssen angesichts der Kosten für Hartz IV sparen, sparen, sparen. Wer tatsächlich den "Gürtel enger schnallen" muß, sind am Ende die Empfänger von ALG-II.

Dies wird wohl zunächst schrittweise geschehen: Betroffene mit zu teuren Wohnungen werden aufgefordert, ihre Wohnkosten zu senken. Als ob es in ihrer Hand läge, dies zu tun. "Herr Vermieter, meine Wohnkosten sind zu hoch, wie wärs mit einer Mietminderung?" Beeinflußbar sind maximal die Nebenkosten, aber auch die Stom- Gas- und Wasserpreise liegen schließlich nicht in der Hand des Verbrauchers. Wohnkosten senken heißt am Ende doch, in eine billigere Wohnung zu ziehen - oder Häuser besetzen.

...oder räumen sie schon?

Zwangsumzüge könnten allerdings nicht nur für die Betroffenen - sondern auch für die Gesellschaft zum Problem werden: Wenn ärmere Bevölkerungsschichten in billigere Wohnungen ziehen müssen, setzt sich die Sortierung der Stadtbevölkerung fort: teure Innenstadtquartiere werden für reiche Juppies herausgeputzt - der Hartz-IV-Pöbel in billige Wohnsiedlungen gesteckt. Hartz IV beschleunigt die Erzeugung neuer "Problemkieze". Banlieues, wie sie aus Frankreich bekannt sind, werden zur Zukunftsnormalität, die ersten Erscheinungen dieser Entwicklung sind aber auch hier schon präsent - die Stichwörter "Rütli-Schule" und "rechte Gewalt" sollten genügen.

Aber, wie die Goldenen Zitronen singen, wird sich nichts ändern "weil wir einverstanden sind". Um dem Abzuhelfen und zu zeigen, dass nicht alle einverstanden sind mit den aktuellen Zumutungen gegenüber sozial Randständigen wurde eine Kampagne gegen Zwangsumzüge ins Leben gerufen. Sie betreibt unter anderem ein kostenloses Notruftelefon für Berliner (0800/ 27 27 27 8). Unter dieser Nummer können sich vom Umzug bedrohte Menschen informieren und Hilfe anfordern. Bundesweit gibt es noch weitere Umzugshotlines.
Dort informieren wir die Betroffenen über ihre Rechte und strategischen Möglichkeiten [...] Außerdem versprechen wir, dass wir Zwangsräumungen aktiv verhindern werden. Wir werden uns einfach mit mehreren 100 Leuten vor die Haustür stellen und den Umzugsunternehmer nicht hereinlassen. (Quelle: taz)
Sollten die Besitzer allerdings alle Mittel ausschöpfen, sind auch mehrere 100 Leute kein problem für die fleißigen Amtshelfer.