Das haben ja schon einige probiert, als das Arbeitslosengeld II eingeführt wurde, meinten einige Journalisten den eingebetteten Reporter spielen zu müssen und sich auf das finanzielle Niveau des "Hartz-IV-Empfängers" begeben zu müssen. Klar, dass der wöchentliche Theaterbesuch, das
Mittagessen im Borchert oder der Urlaub in Italien ausfallen müssen.
Emanzipation oder Barbarei macht auf eine weitere zynische Aktion aufmerksam:
Bürgerfamilie Schawohl fastet als Hartz-IV-Familie. Die armen kleinen können nicht mehr zum Musikunterricht und auf dem Abendbrottisch gibts wohl nur noch trocken Brot und an Feiertagen eine Gemüsebrühe. Die Perspektive, die in dem Artikel eingenommen wird, ist die typisch bürgerlich-kapitalistische:
Das Fazit aber steht schon fest: Mit Hartz IV auszukommen, das sei "eher überleben als leben", findet Lennart. Alles, was der Horizonterweiterung diene, ob Bildung, Kultur oder das Gespräch mit Freunden, werde erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Das Selbstwertgefühl nehme ab, die Wertschätzung durch andere auch.Einleuchtend, dass Kultur oder Bildung Geld kosten welches nur mit Abstrichen in anderen Bereichen ausgeglichen werden kann. Warum der Kontostand dem Gespräch mit Freunden im Weg steht ist mir nicht klar. Mit den falschen Freunden, die wegen der Kohle ihre Wertschätzung lieber anderen entgegenbringen, würde ich mich sowieso nicht mehr unterhalten. Vielleicht hätte Papa Schawohl mal in eine Trinkhalle gehen sollen um mit Menschen seinesgleichen zusammen zu sein. Wahrscheinlich wäre er aber verprügelt worden, wenn er verraten hätte, dass dies alles nur ein "Planspiel" sei. Denn schließlich:
"Am Ostersonntag gab es dann endlich die lange vermissten Croissants."Ich will den Lebensstandard mit ALG-II ja nicht beschönigen, es ist sicher kein Luxus. Allerdings lebe ich - eher unfreiwillig - genauso wie Familie Schawohl auch seit Aschermittwoch mit 345 Euro + Miete - nur dass es am Ostersonntag nicht vorbei war. Zugegeben, eine Altbauwohnung mit Ofen ist nicht jedermanns Sache, auf meine Sonntagscroissants muss ich dennoch nicht verzichten. Auch an Kultur mangelt es nicht und Essen kommt bei mir grundsätzlich aus dem Bioladen.
Vielleicht wäre ein kleiner Perspektivwechsel nötig: klar kann man mit dem entsprechenden Geld alles kaufen. Die Frage ist nur: ist es nötig? Genau diese Frage hätte sich Famlilie Schawohl beantworten können: Mit ein wenig Selbstorganisation lassen sich viele Dinge ohne (viel) Geld beschaffen. Bücher muss man nicht kaufen, man kann sie borgen. Lebensmittel können in Einkaufgemeinschaften organisiert werden; oder in Kooperation selbst produziert. Statt Kultur nur zu konsumieren, kann auch diese selbst gestaltet werden. Ein Tag am Baggersee kann spannender und erholsamer sein, als der Pauschalurlaub von TUI. Statt nach immer mehr Geld zu rufen, wäre es eine bessere Perspektive zu überlegen wie man möglichst unabhängig von der Geldlogik werden kann. Netzwerke, wie das
Leihnetzwerk oder
NutzerInnengemeinschaften zeigen erste Möglichkeiten auf. Viel mehr Ideen und Projekte werden im
Anders Leben-Wiki gesammelt. Dass eine solche Perspektive für den Mainstream schwer ist, ist mir klar. Ich will allerdings kein Mitleid mehr - weder von Kleinbürgern die Hartz IV spielen, noch von Journalisten die meinen, sich an den "Rand der Gesellschaft" zu begeben. Klar will ich "Alles" und klar "umsonst". Das muss aber organisiert werden - die kapitalistische Gesellschaft wird mir's sicher nicht geben.
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